Das diesjährige Symposium der Gesellschaft für Geschichte der Wehrmedizin e. V. (GGWM) fand, erneut in Zusammenarbeit mit der Sanitätsakademie der Bundeswehr, unter dem Titel „Kriegsseuchen – historische Aspekte und aktuelle Entwicklungen“ am 5. November 2019 in der Sanitätsakademie statt.
Die Kommandeurin der Akademie, Frau Generalstabsarzt Dr. Gesine Krüger, unterstrich in ihrem Grußwort die Wichtigkeit und Bedeutung von Geschichte und historischer Bildung – geben sie doch auch Orientierung für militärische Werte und Führungsverhalten.
Nach der Begrüßung durch den Vorsitzenden der GGWM, Generalarzt a. D. Prof. Dr. Dr. Erhard Grunwald, führte Flottenarzt Dr. Volker Hartmann (Sanitätsakademie der Bundeswehr) als Moderator zunächst in das Thema ein.
Als erster Referent des Symposiums beleuchtete Oberstleutnant Dr. Thomas Müller (Sanitätsakademie der Bundeswehr) in seinem Vortrag „Infektionskrankheiten und ihr Einfluss auf Kriege in der Geschichte. Eine Tour d´horizon“ zunächst aus Sicht eines Militärhistorikers, wie Seuchen sowohl die Geschichte selbst, aber auch den Verlauf von militärischen Auseinander-setzungen beeinflusst haben. Anhand der Pestepidemie des 14. Jahrhunderts verdeutlichte er, wie leicht – bedingt durch mangelnde Kenntnis von Übertragungswegen – religiöse Gruppen als Auslöser für derartige Erkrankungen verantwortlich gemacht werden können. Für die Menschen dieser Zeit galt der Ausbruch der Pest als ein Zeichen für den Zorn Gottes, dessen Ursache in der Kreuzigung seines Sohnes Jesus Christus durch die Juden lag. Auf der anderen Seite warf man jüdischen Familien vor, durch die Vergiftung von Brunnen die Seuche hervorgerufen zu haben. Als Beleg führte die Menschen an, dass deutlich weniger Pestopfer unter der jüdischen Bevölkerung auftraten, in signifikant geringerer Zahl der Pest zum Opfer fielen als Christen. Die Ausschreitungen und Pogrome ließen dabei außer Acht, dass Juden durch ihre religiösen Reinheitsvorschriften in besseren hygienischen Verhältnissen lebten und daher vermutlich weniger an der Pest erkrankten. Am Beispiel des Russlandfeldzuges von Napoleon zeigte der Vortragende, welche verheerenden Verluste eine Infektionskrankheit innerhalb ei-ner Armee anrichten kann. Überschritt der französische Kaiser mit rund 500.000 Mann im Juni 1812 die russische Grenze, bestand seine „Grande Armee“ im Oktober nur noch aus etwa 80.000 Soldaten – der überwiegende Anteil war dem Fleckfieber zum Opfer gefallen.
Oberstarzt Prof. Dr. Ralf Vollmuth (Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Potsdam) verdeutlichte in seinem Beitrag „Infektionen und Seuchen vom Beginn der bakteriologischen Ära bis ins Zeitalter der Weltkriege“, wie ab dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 nicht mehr Infektionen und Seuchen, sondern die Waffenwirkung als häufigste Todesursache von Soldaten während kriegerischer Auseinandersetzungen in den Vordergrund trat. Die in diesem Krieg gewonnenen Erfahrungen flossen in die Neuorganisation des Sanitätsdienstes der kaiserlichen Armee ein und mündeten unter anderem in die am 27. Januar 1907 erlassene „Kriegs-Sanitätsordnung (K.S.O.)“, in der sich erstmals in dieser Form Empfehlungen zur Verhinderung von Infektionskrankheiten und Vorgaben zur Desinfektion als sogenannter „Gesundheitsdienst im Kriege“ finden. Verantwortlich für diese Aufgaben waren die beratenden Hygieniker mit ihrem „bakteriologischen Kasten“ und dem „tragbaren bakteriologischen Laboratorium“. Nach einem Exkurs über die Spanische Grippe stellte der Vortragende die Organisation und Herausforderungen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg dar. Trotz der verhältnismäßig guten Vorbereitung des deutschen Sanitätswesens (erstmalig machte eine eigenständige Vorschrift zum Gesundheitsdienst Vorgaben zur Überwachung von Küchen und Kantinen, der Wasserversorgung, der Durchführung von Gesundheitsbelehrungen, aber auch zu verschiedensten Impfungen) führten Infektionskrankheiten, wie beispielsweise Ruhr, Fleckfieber sowie Malaria, während des gesamten Krieges immer wieder zu großen Problemen und Ausfällen unter den Soldaten.
Als letzter Referent vor der Pause berichtete Oberstarzt a. D. Dr. Ernst-Jürgen Finke (Dresden) über „Die Seuchenbekämpfung des Medizinischen Dienstes in der ehemaligen Nationalen Volksarmee“. In ihrer Aufbauphase verfügten die Sanitätsbataillone der Nationalen Volksarmee (NVA) über sogenannte antiepidemische Züge, die wiederum über Laborgruppen sowie Desinfektions- und Schädlingsbekämpfungsgruppen zur Isolierung und Quarantäne von Infektionskranken verfügten. Für eine entsprechende stationäre Therapie besaß das Zentrale Lazarett der NVA in Bad Saarow eine Infektionsstation (die bei einer Epidemie zur Infektionsklinik erweitert werden konnte) und ab 1973 zusätzlich eine Abteilung Mikrobiologie als Vorläufer des späteren Instituts für klinische Mikrobiologie. Zu einer der Hauptaufgaben dieser Einrichtungen gehörte die Untersuchung und Behandlung von an Ruhr erkrankten Soldaten, die sich häufig während der Aufenthalte auf Raketenschießplätzen in der UdSSR infizierten. Federführend für mikrobiologische Forschung und Weiterentwicklung von spezifischen Geräten der Feldsanitätsausrüstung war das Institut für Feldepidemiologie und Mikrobiologie (IFM) der Militärmedizinischen Sektion in Greifswald, das 1972 aus den Instituten für Militärhygiene und Biologischen Schutz hervorging. Die hygienisch-epidemische Sicherstellung der NVA war vor allem präventiv ausgerichtet. Dazu war es erforderlich, den Gesundheitszustand in den Einheiten und Standorten fortlaufend zu analysieren, eine „hygienische Lage“ zu erstellen und auftretende ungewöhnliche Gruppenerkrankungen und Infektionen zu erfassen.
Im zweiten Teil des Symposiums stellte Generalarzt a. D. Dr. Christoph Veit (Bonn) in seinem Referat den „Infektions- und Seuchenschutz in der Bundeswehr in der Zeit des Kalten Krieges“ vor. Unmittelbar nach Gründung der Bundeswehr waren dem überwiegend kriegsgedienten Führungspersonal der noch jungen Streitkräfte – aufgrund ihrer während des Zweiten Weltkrieges gemachten Erfahrungen – die möglichen Auswirkungen von Seuchen und Infektionserkrankungen auf die Einsatzbereitschaft der Truppe bekannt. Ausgehend von der Fokussierung auf andere Schwerpunkte geriet das Wissen um den Infektionsschutz in den Folgejahren allerdings immer mehr in Vergessenheit. Durch Übertragung der Eigenvollzugskompetenz im Bereich der Gesundheitsversorgung und der Vorbeugung von Erkrankungen auf die Bundeswehr selbst, baute der Sanitätsdienst der Bundeswehr parallel zu dem zivilen Gesundheitsüberwachungssystem eigene Strukturen zur Abwehr infektiöser Gesundheitsrisiken auf. Als wichtige Bausteine galten dabei, neben den Standortärzten als Pendant zum zivilen Amtsarzt, die mit Hygienikern, Apothekern und Veterinären personell ausgestatteten Aufsichtsbehörden in den sechs Wehrbereichskommandos und die regionalen Untersuchungsinstitute der Bundeswehr. Im täglichen Dienstbetrieb war des Thema Prävention in den verschiedenen Einheiten und Teilstreitkräfte unterschiedlich gewichtet. Dem Münchner Institut für Medizinischen B-Schutz, im Falle eines B-Angriffs oder einer mutmaßlich seuchenbedingten Krankheitshäufung sicherlich von elementarer Bedeutung, fehlte es an notwendiger Infrastruktur, zudem war es in der Truppe nahezu unbekannt. Während die Marine ein eigenes Infektions-Gefährdungsregister führte, gab es im Heer mit dem Sanitätslehrbataillon 851 nur einen einzigen Truppenteil, bei dem die Komponenten Prävention, Infektionsschutz, Diagnostik und Behandlung möglicher Erkrankungen präsent waren.
Zum Abschluss der Veranstaltung trug Oberstveterinär Dr. Katalyn Roßmann (Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr) zum Thema „Der Umgang des Sanitätsdienstes der Bundeswehr mit biologischen Gefahren im Einsatz nach 1990“ vor. Bis ins Jahr 1991 wurden die Gefahren von Seuchen und Infektionskrankheiten auf die Einsatzbereitschaft von Soldaten (abgesehen von der Erdbebenhilfe in Italien 1980/81, bei der in großem Umfang Wasserbeprobungen, Impfungen und hygienische Maßnahmen vorgenommen wurden) augenscheinlich wenig beachtet. Als Wendepunkt auf diesem Gebiet ist die Kambodscha-Mission zu bewerten. Erstmals verfügte ein Einsatzkontingent über ein Mikrobiologisches Labor, in dem ein Tierarzt entsprechende diagnostische Untersuchungen vornehmen konnte. Mit der Ausweitung der verschiedenen Missionen auf dem Balkan etablierte die Bundeswehr auch in ihren Einsatzstrukturen Elemente zur Wahrnehmung der öffentlich-rechtlichen Aufgaben – bis heute wird diese Struktur in nahezu allen militärischen Szenarien beibehalten. Bedingt durch sich anschließende Missionen in überwiegend tropischen und subtropischen Regionen rückten präventivmedizinische Maßnahmen und die Erarbeitung fundierter Risikobewertungen immer mehr in den Vordergrund. Dazu entstand 2001 am Sanitätsamt der Bundeswehr eine Task Force Medizinischer ABC-Schutz, aus der bereits ein Jahr später die Abteilung „MedInt“ hervorging, die erstmals eine interdisziplinäre Risikoevaluierung für Afghanistan erstellte. In der Folgezeit etablierte der Sanitätsdienst verschiedene Surveillance- und Monitoringsysteme für Vektoren oder Infektionen. Aus Sicht der Vortragenden liegen die Herausforderung der Zukunft im Bereich der „Bioresponsiveness“ und dem „One-Health-Ansatz“, dem Zusammenschluss von Gesundheitsschutz und -förderung. Letztlich wird mit großer Wahrscheinlichkeit ein Wandel von der Individualmedizin zur „Populationsmedizin“ erfolgen.
In seinem Schlusswort bedankte sich Generalarzt a. D. Prof. Dr. Dr. Erhard Grunwald bei allen Referenten und unterstrich, dass die Kriegsseuchen und Infektionskrankheiten auf keinen Fall „besiegt“ sind und auch weiterhin sowohl die Sanitätsdienste von Streitkräften als auch das zivile Gesundheitswesen vor große Herausforderungen stellen wird.
Oberfeldarzt Dr. André Müllerschön
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„Sanitätswagen des Feldlazaretts“ wird an das Militärhistorische Museum in Dresden ausgeliehen
Das Militärhistorische Museum der Bundeswehr bereitet derzeit die Sonderausstellung „Krieg, Sieg und Nation“ vor,
in deren Zentrum die Kriege 1864, 1866 und 1870/71 stehen. Die Sonderausstellung folgt einem multiperspektivischen Ansatz,
der Militärgeschichte mit kulturhistorischen und politikgeschichtlichen Fragestellungen verbindet. In diesem Rahmen hat das
Museum die Militärhistorische Lehrsammlung der SanAkBw gebeten, eines unserer besonderen Exponate, den sogenannten
Feld-Apothekenwagen, für das Jahr 2020 auszuleihen. Die ehemals pferdegespannte Karosse stand früher in der Vorhalle des
Akademiestabsgebäudes und ist seit April 2013 in der Halle 10, der permanenten Ausstellung, zugänglich. Bei dem Fahrzeug
handeltes sich um einen „Sanitätswagen des Feldlazaretts (Modell 1867)“ und wurde in diesem Jahr in der preußischen Armee
eingeführt. Der auch in den Kriegen 1870/71 und 1914/18 eingesetzte Sanitätswagen wurde im Juli 1970 durch den damaligen
Inspekteur des Sanitätsdienstes der britischen Armee an den deutschen Sanitätsdienst übergeben und ist seither eines der
bedeutendsten Exponate unserer Lehrsammlung. Die Kommandeurin der SanAkBw hat der Leihgabe zugestimmt. Als „Ersatz“
werden wir ein Amphibienfahrzeug vom Typ LuAZ-967 der ehemaligen NVA erhalten. Es diente als sogenanntes
„Geschädigtentransportfahrzeug“. Außerdem bekommen wir einen KRAKA der Bundeswehr vom Militärhistorischen Museum
als Leihgabe.
Flottenarzt Dr. Volker Hartmann |